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Unsere Heimat liegt auf dem Teller
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Unsere Heimat
liegt auf dem Teller
Ein Pfund Gemischtes à la Sarroise
Von Klaus Brill
Man kann sich fragen, was vom Saarland einmal blei-
ben wird. Meine Antwort wäre: nur der Dibbelabbes.
Denn wenn die Bevölkerung weiter so unaufhaltsam
schrumpft, wenn Dörfer veröden und Städte ihren
Charme verlieren, wenn gar das kleinste deutsche Flä-
chenland sich in einem größeren Südweststaat auflöst,
dann wird es schwierig, die Besonderheiten dieses unter-
gehenden Gemeinwesens zu bewahren.
Was überhaupt ist typisch saarländisch?Was unter-
scheidet heutzutage noch eine Region von anderen,
abgesehen von der Landschaft? Die bäuerliche Tracht
des Saarraums hat sich schon vor über 100 Jahren in den
Transformationen der Industrialisierung verloren. Auch
die Bergmannsuniform, die an ihre Stelle trat, ist nach
dem Ende des Bergbaus dem Untergang geweiht. Die
typische Bebauung – südwestdeutsches Quereinhaus
oder Lothringer Bauernhaus – ist nur noch in vereinzelten
Exemplaren und kaum je als Ensemble anzutreffen, es
dominiert die Banalität. Im Sündenregister der histori-
schen Versäumnisse ist unterbliebener Denkmalschutz
im Saarland eines der schmerzlichsten Kapitel.
Als weiteres Merkmal regionaler Eigenart wäre der
Klaus Brill
ist gebürtiger
Saarländer und war als
Auslandskorrespondent
der Süddeutschen
Zeitung in Washington,
Rom, Prag und Warschau
im Einsatz. In seinem
Buch »Deutsche Eiche –
Made in China« schildert
er die Globalisierung am
Beispiel seines Heimat-
dorfes Alsweiler. Zum
eisernen Bestand seines
Haushalts zählt ein
blaues Büchlein, in dem
er als junger Mann die
saarländischen Kochre-
zepte seiner Großmutter
Rosa notierte.  
Dialekt zu prüfen, ein originelles
Amalgam aus moselfränkischem
Grundbestand und französischen
Ingredienzien. Doch sind wir heute
Zeugen, wie das saarländische Platt
im Ansturm der Anglizismen und
der hochdeutschen Kommunikation
vergeht. Es wird auch nicht mehr
geschätzt und gepflegt. So bleibt als
Refugium saarländischer Besonder-
heit nur die Küche mit ihrem reichen
Schatz an Kartoffel- und Fleischge-
richten, dem klassischen Mahl einer
bäuerlichen Landbevölkerung, die
sich von den Erträgen ihrer Felder,
Gärten und Ställe nährte. Die Berg-
und Hüttenleute taten es ebenfalls.
Welch ein Glück drum, dass im Saar-
land der Bergbau und die Eisenindus-
trie von der Informatik und der Spit-
zengastronomie als wertschöpfende
und identitätsstiftendeWirtschafts-
zweige abgelöst wurden! Denn so
eröffnet sich die Chance, dass nicht
nur moderne neue Arbeitsplätze ent-
stehen, sondern dass auch Dibbe-
labbes und Gefillde, Kneppchjer und
Hòòrische wenigstens im Zustand
der Veredlung überleben. So wie sich
manche tschechische Volksweise in
den Symphonien von Antonin Dvorák
erhalten hat.
Wenn also saarländische Köche
heute die hergebrachten Rezepte
auskramen und verfeinern, dann ist
das nicht nur ein launisches Spiel
mit Omas fettbefleckten Aufzeich-
nungen, sondern eine kulturhistori-
sche Großtat, vergleichbar mit dem,
was Archivare, Sprachforscher und
Museumskuratoren leisten. Die Erzeu-
gung der Krombeerkerschdscher und
des Bettseicher-Salats muss man als
Wiederbelebung einer alten Kultur-
technik betrachten, die durch diese
Überlieferung für dasWelterbe der
Menschheit gerettet wurde.
Dass das heute nötig ist, unterliegt
keinem Zweifel.Wer bei jungen
Leuten nach den alten Rezepten fragt,
erntet Staunen oder Desinteresse,
wenn nicht Verachtung. KeinWunder,
ist doch dieWeitergabe der Tradition
in den Familien jäh unterbrochen
worden, nicht nur, was die alten
Hausrezepte angeht. In der Zeit, die
früher der Kommunikation vorbehal-
ten war, sitzen die Großeltern vor der
Glotze, die Enkel vor dem Smart-
phone – wann sollten da Geschichten
erzählt, Rezepte aufgeschrieben,
Brauchtum und Fertigkeiten weiter-
gegeben werden? Kommt Hunger auf,
dann schickt die young generation
eine Message an den Pizza-Service.
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