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Unsere Heimat liegt auf dem Teller
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Guide O.
Guddgess Deluxe
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Hauptsache, satt geworden. Gudd
gess?War früher.
Dabei wäre gegen eine gute Pizza ja
nichts zu sagen, so wenig wie gegen
Spaghetti all’ Amatriciana oder Tira-
misu. Schließlich sind dies heimische
Gerichte geworden, die in den 1960er
Jahren von den zugewanderten
Italienern mitgebracht wurden. Für
die erbeingesessene Esskultur war
es eine Bereicherung, wie sie in der
Menschheitsgeschichte immer wie-
der vorgekommen ist.
Schwieriger war es mit dem Nach-
barn Frankreich. Dem unbefange-
nen Gaumengenuss à la française
kulinarischen Verfeinerungen, die
einer kleinen, gebildeten und begü-
terten Schicht von Saarländern längst
vertraut waren. Und deshalb sind wir
dort, wo wir heute sind.
Gut so. Von allen Sarroiserien ist uns
diese kulinarische Einzigartigkeit
doch die liebste, drum wollen wir
sie mit Zähnen und Klauen vertei-
digen. Man gebe sich keiner Illusion
hin: Die Globalisierung hat es jetzt
schon dahin gebracht, dass ein paar
industriell sehr leicht reproduzierbare
Gerichte wie die Pizza, der Burger
und der Cappuccino in aller Welt zum
Food-Standard wurden. Für regionale
Köstlichkeiten ist nur noch in Speziali-
täten-Restaurants und im trauten
Heim der echten Kulturkämpfer Platz.
Davon bräuchten wir Zehntausende.
Das Saarland hat ja wirklich Originel-
les zu bieten, nämlich jene Mélange
standen im Saarland lange Zeit
wohl nationale Vorbehalte, soziale
Unterschiede (Lyoner vs. Châteaubri-
and à la béarnaise) und die daraus
erwachsenen mentalen Barrieren
imWege. Als Oskar Lafontaine 1985
auf einemWahlplakat mit einem
Baguette posierte, um eine neuartige
saarländische Lebensfreude zum
Ausdruck zu bringen, da war dies ein
Schritt über jenen Rubikon, der die
modernen Europäer von den Deutsch-
nationalen trennte. Es traf den Geist
der Zeit. Seither galt das französische
Dinieren endgültig als très chic, der
Weg war frei für eine Explosion der
aus germanisch-keltischem und
romanischem Kulturerbe, das schon
seit der Antike die Sitten, die Sprache
und die Küche prägte. Die Mischung
machts, so war das immer. Haben
unsere Vorfahren nicht ebenso unter
Louis XIV. und Napoleon gelebt wie
unter Bismarck und Hitler? Sind wir
nicht einst ein europäisches Exotikon
gewesen, dessen Bewohner im Pass
der République Française den Ver-
merk trugen: Nationalité sarroise?
Nichts liegt also näher, als ähnlich
wie die Luxemburger das Teutsche
und das Franzeesische in der Küche
kreativ zu vermählen und noch ein
wenig Saarländisches beizugeben.
Was ja längst geschieht. Deshalb
sollten die Deutschen nun endlich zur
Kenntnis nehmen, dass das Saarland,
auch wenn es nur die Größe eines
Ölteppichs hat und gern als künftige
Beute von Rheinland-Pfalz betrachtet
wird, doch in deutschen Landen die
höchste Dichte an guten Esslokalen
aufweist, ausweislich der Prädikate
des Hauses Michelin.
Es gibt uns noch, und es schmeckt
uns noch. Und fragt uns einer, wo
denn heute und in Zukunft der wahre,
echte Geist des Saarlands zu finden
sei, dann antworten wir: Unsere Hei-
mat liegt auf dem Teller. Ei gude!
Die Pizza trat in den 1960er Jahren ihren Siegeszug
an und ist heute Inbegriff einer globalisierten
Esskultur.
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