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Das war ihre Überschrift. Es folgte kein ausgefeiltes
Psychogramm. Sie antwortete wie ein Literat, also mit einem
Beispiel: 1947 war sie gerade mal zehn Jahre alt, und sie
entdeckte auf dem Tisch ihres Opas eine Tüte mit Datteln.
Täglich klaute sie sich eine, hoffend, dass er es nicht merkte.
Irgendwann waren sie alle, und niemand sagte etwas. Da
hörte sie zufällig, wie mein Uropa Hildes Mutter bat, noch
ein Päckchen zu kaufen. Die würden ihr ja so gut
schmecken.
Der Hunger, „der stärkste aller Triebe“
(13)
, kam zu seinem
Recht. Mit der Einführung des Franken am 20. November
1947 waren die „schlechten Zeiten“ vorbei.
(14)
Plötzlich gab es
auch „richtige Lebensmittel“ ohne Karten. Allerdings nur im
Saarland. Ganz anders im „Reich“, in der Bundesrepublik
Deutschland. Dort schaffte man stufenweise die Lebens-
mittelkarten erst 1950 ab. In der damaligen DDR noch später.
(15)
Die Vertriebenen waren die deutschen Spätopfer des von
Hitler-Deutschland angezettelten Krieges.
Im Westen
wurden sie oft behandelt wie heute die Migranten. Da ging
es
nicht
um Patriotismus.
Das
war reine
Fremdenfeindlichkeit
(16)
,
eine ablehnende,
ausgrenzende,
feindliche Haltung gegenüber Personen oder Gruppen. Der
Fremde ist suspekt, die Fremde ebenfalls und das Fremde
generell. Alle werden zu Sündenböcken für alles Mögliche
abgestempelt und, nicht selten in der Geschichte, brutal
vernichtet. Der Massenmord ist dabei kein Tabu, wie die
Geschichte des Dritten Reiches zeigt.
Fremdenfeindlichkeit kann beim Nachbarn beginnen und
bei der Weltbevölkerung aufhören.
Im Dritten Reich
gehörten fast alle Ausländer zu diesem zu verachtenden Teil
der Menschheit, und nach 1945 waren es in Deutschland
auch Deutsche aus dem Osten. Von dort schienen immer die
Bösen zu kommen: die Hunnen, die Türken, die Russen,
obwohl Letztere erst gegen Ende des Krieges deutschen
Boden betraten, sich aber, als Folge des deutschen Überfalles
auf die Sowjetunion,
auch nicht gerade vorbildlich
verhielten.
Meine Lieblingstante Hilde